Stromstecker aus Holz

Aus heutiger Sicht klingt es kurios, Stromverbindungen, in denen es ja immer durch Kurzschluss oder überlastung zu Funken oder überhitzung kommen kann, ausgerechnet aus leicht brennbarem Holz zu fertigen. Aber man darf die Nachkriegszeit nicht an unseren heutigen Maßstäben messen. Nicht nur, dass viele heute bekannten Gefahren den normalen Bürgern damals noch weitgehend unbekannt waren oder innerhalb der damals höheren allgemeinen Toleranz lagen, so galt es schlicht vorhandenen Bedarf zu befriedigen und größte Not zu beseitigen. Was bedeutete die geringe Möglichkeit eines Steckerbrandes während man kochte, also sofort eingreifen konnte, gegenüber der Unmöglichkeit zu kochen oder gar der Möglichkeit zu erfrieren?

Sieht man davon ab, dass es in der Nachkriegszeit noch viele Gebiete in Deutschland gab, die kaum mit Elektroenergie versorgt waren, weil entweder die Stromversorgung einzelner Orte oder Häuser kriegsbedingt noch überhaupt nicht erstellt worden war, oder aber, bereits vorhandene Stromleitungen durch Bomben zerstört und wegen fehlendem Material und fehlenden Arbeitskräften noch nicht wiederhergestellt worden waren.
Teilweise waren aber auch Kupferleitungen im Krieg wegen Rohstoffmangen demontiert worden, oder nach dem Krieg aus kriegsbeschädigten Häusern aus der Wand gerissen worden, um das wertvolle Material auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.

In den Gebieten, wo es, unterbrochen von Stromsperren und Abschaltungen, eine Stromversorgung gab, hatte diese wegen der allgemeinen Energieknappheit eine nahezu überlebenswichtige Funktion.

Gerade Stadthäuser, waren teilweise seit der Zeit vor dem 1. Weltkrieg auf den Nutzen von Elektrizität eingerichtet und in ihrer Bauart auch davon abhängig. Durch die vielen Ausgebombten und Flüchtlinge wurde jeder bewohnbare Quadratmeter der Häuser benötigt. Auch Räume, die zuvor nicht für Wohnzwecke vorgesehen waren, die keinen Kaminanschluss und kein Stromversorgung hatten. Hier bot elektrischer Strom, die einzige Möglichkeit zum Kochen und den Wohnraum im Winter - wenn auch nur in Winterkleidung bewohnbar zu halten. Notfalls ließ sich der Strom über ein einfaches, am Nachbarhaus angschlossenes Kabel in Minuten zur Verfügung stellen. Und das war in vielen Städten tausendfach erforderlich. Aber zur Bereitstellung des notwendigen Installationsmaterials waren weder die wenigen noch arbeitsfähigen Fabriken in der Lage, noch gab es ausreichend Rohmaterial für eine industrielle Fertigung. Das Problem waren hier nicht nur die stromleitenden Metalle, sondern auch die nichtleitenden Isolierungen, die in vielen Fällen aus Kunststoff und Porzellan bestanden hatten. Porzellanfirmen benötigen selbst viel Energie und waren daher selbst von der Energiekrise betroffen. Kunststoff wird von chemischen Betrieben gefertigt, und diese waren bei Kriegsende weitgehend stillgelegt worden. Als Nichtleiter bot sich daher ersatzweise Holz an.

Insbesondere Stecker wurden in hohem Maße aus Holz gesägt oder gedrechselt. Die elektrischen Kontakte wurden aus ehemaligem Rüstungsmaterial gefertigt, meistens aus Aluminium oder Messing. Man findet sogar Stecker, bei denen ein Kontakt aus Messing und der andere aus Aluminium ist, was auf eine handwerkliche Einzelfertigung in sehr kleinem Umfang schließen lässt.

Wir haben einige Stecker, Doppelstecker und anderweitiges Strominstallationsmaterial der Zeit, dass wir hier nach und nach vorstellen werden.



Doppelstecker aus Holz waren relativ weit verbreitet, denn auch dort, wo eine funktionierende Steckdose vorhanden war, reichte diese oft nicht mehr aus, da wegen der Knappheit von Brennstoffen oft mehrere Stromverbraucher gleichzeitig betrieben werden mussten, wie z.B. eine Lampe und eine Kochplatte. Manchmal wurde der zweite Steckkontakt aber auch benötigt, um ein nicht am Stromnetz angeschlossenes Zimmer per Verlängerungskabel mit Strom zu versorgen.





runder Stromstecker für 110/220 Volt aus Holz mit Messingkontakten



flacher Stromstecker für 110/220 Volt aus Holz mit Aluminiumkontakten

Nicht nur der gedrechselte Holzstecker macht das folgende Kabel interessant.



Es handelt sich hier um ein überbrückungskabel mit Steckern an beiden Enden. Mit Hilfe eines solchen Kabels konnte man einen im Haus unterbrochenen Stromkreis flicken, in dem man einfach den einen Stecker in eine Steckdose des funktionierenden Netzes steckte und den anderen - ev. unter Zuhilfenahme einer Verlängerungsschnur - in eine Steckdose eines unterbrochenen Stromkreises.



© horst decker