Kanonenhülsen wurden nach dem Krieg
in höchstem Maße wiederverwertet

Die Produktionen folgten der Stufe c), also der Konstruktionsstufe.


Das lag daran, dass ein riesiger Bedarf an Gefäßen aller Art bestand. Nach dem unten angeführten Schema wurden von Fabriken allerdings fast ausschließlich Eisenhülsen verwertet. Die Rohware wurde anschließend emailliert. Hier gab es regionale Unterschiede. Die Emaillefarben schwanken zwischen hellgrau mit weißen Sprenkeln bis zu graublau gesprenkelt. Es gab allerdings auch Fertigungen in matt-rotem Emaille.
Noch kurz nach 1980 wurden in einer Fabrikhalle in Groß Gerau viele hundert Hülsen der Panzer-Abwehrkanone Pak40 im cal. 7,5cm gefunden, die mittlerweile zwar rostig aber ungebraucht waren. Offensichtlich hatte die Firma nach dem Krieg solche ungeladenen Hülsen aus ehemaligen Fertigungsbetrieben bezogen, um daraus Hausrat herzustellen, aber nicht mehr alle Stücke verwerten können.

Messing war als Rohstoff zu teuer und wurde im industriellen Bereich praktisch ausschließlich eingeschmolzen. Messinghülsen wurden dafür häufig von Spenglern und Kleinbetrieben verwendet. Hier wurde meistens das Oberteil der Hülse abgeschnitten, längs aufgetrennt und zu Messingblech aufgebogen, das dann kalt verformt oder zu Gefäßen, wie Wärmflaschen verlötet wurde. Die Bodenstücke wurden dann, wie schon seit 100 Jahren im Soldatenalltag üblich, zu Aschenbechern und Vasen verarbeitet.
Die Aschenbecher und Vasen der Nachkriegszeit 1945-1948 werden daher oft als 'Reservistenstücke' des Soldatenalltags angesehen. Einen Hinweis auf eine Notfertigung nach dem 2. Weltkrieg kann man darin sehen, dass der militärische Bodenstempel der ehemaligen Hülse aus dem letzten Kriegsjahr stammt (1944/45). Frühere Stücke wurden wegen der knappen Ressourcen bereits während des Krieges staatlich eingesammelt und wiederverwertet. Sie kommen allenfalls als Mitbringsel von Frontsoldaten vor. Diese sind dann aber fast immer graviert und mit Daten, Initialen, patriotischen Verzierungen und Ortsnamen versehen, während die Nachkriegsstücke als reine Funktionsteile fast nie Dekorationselemente enthalten, sondern ausgesprochen schlicht sind.



1. Aus den abgetrennten Hülsenmunden von 7.5cm Granathüseln wurden überwiegend Becher. Diese fanden im hohen Maße auch bei den Schulspeisungen Verwendung. Sie wurden zu Hunderttausenden fabrikmäßig produziert. Es gibt hier Höhenabweichungen und Farbabweichungen. Die Becherhenkel sind mal aus Flacheisen und mal aus abgeplattetem Rundmaterial. Die Böden sind meistens eingeschweißt, seltener eingebörtelt. Ein bedeutender Hersteller waren die Fuldaer Emaillierwerke, die nebenbei als ehemalige Stahlhelmproduzenten des 2. Weltkrieges nach dem Krieg auch Zigtausend Helme zu Sieben und Töpfen verarbeiteten.
Wir hatten noch um 1990 in Bad Brückenau ein Verkaufslager mit vielen Hunderten Hülsenmund-Bechern, wahrscheinlich aus der Fuldaer Produktion, aufgefunden.

2. Bei Hülsen von 60mm Geschossen nutzte man den Hülsenmund häufig zur Fertigung von 1/2 Liter Meßbechern. Sie gibt es in grau-weiß gesprenktelten Farben, aber auch in braun melierter Emaille.

3. Aus dem oberen Teil der Hülsen samt Schulter (konische Verjüngung) und Hülsenmund großkalibriger Hülsen fertigte man 'Kaffeekannen' und im weit überwiegendem Maße Milchkannen. Gerade bei Milchkannen gibt es die gesamte Bandbreite der Hülsenformen, von konisch schlank bis zu Exemplaren mit stark ausgeprägter Schulter und in den verschiedensten Höhen und Kalibern.
Kaffeekannen, besser als Flüssigkeitskannen bezeichnet, denn in der Notzeit gab es keine Hausratsstücke, die nur für einen Zweck genutzt wurden, wurden fast ausschließlich aus 8.8cm Hülsen gefertigt. Die Emaillefarben sind ebenfalls grau bis blau mit weißen Sprenkeln oder einfarbig mennige-rot.

4. Aus den Mittelteilen der Hülsen baute man Beeren-Sammeltöpfe, bzw. Henkelkannen. Letztlich waren sie in der Not auf dem Feuerherd auch zum Kochen geeignet. Oder das Mittelteil wurde zu ca. 5-8cm hohen Ringen gesägt, an die ein Boden und ein Stiel angeschweiß wurde. So wurde daraus eine Kasserolle zum Braten, Dünsten oder für ein wenig Suppe.
Diese Stücke sind bisher nur in grau-melierten Emaillefarben aufgetaucht.

5. Aus dem Endteil mit dem Original- Hülsenboden wurden Aschenbecher, Vasen oder Futternäpfe für Stallkaninchen gefertigt. Diese Teile gibt es auch von Messinghülsen. Sie sind nicht emailliert sondern die Oberfläche ist original belassen. Bei Vasen und Futternäpfen ist das ehemalige Zünderloch zugenietet oder zugeschweißt. Bei Aschenbechern befindet sich meistens noch der Orignal-Zünder im entschärften Zustand darin.

© horst decker