Der Mangel an Nägel, Schrauben und Bindematerial


Nach dem Krieg standen in Deutschland erst einmal alle Maschinen. Das hatte mehrere Gründe.
Viele Fabriken waren als rüstungsproduzierende Betriebe zerbombt und technisch gar nicht in der Lage, ihre Produktion wieder aufzunehmen.
Dazu hatte das Deutsche Reich ja nahezu alle waffenfähigen Männer in die Wehrmacht eingezogen und durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ersetzt. Die Männer kehrten nicht heim. Sofern sie den Krieg überlebt hatten, war ihr Schicksal mehr oder weniger lange Kriegsgefangenschaft. Natürlich beendeten die nach Deutschland verschleppten und von den Firmen zuvor äußerst schlecht behandelten Arbeitskräfte mit dem Einmarsch der Alliierten sofort die Arbeit. Das waren statistisch rund die Hälfte der Fabrikarbeiter.
Häufig waren die Firmenleitung und die deutschstämmigen leitenden Angestellten abgetaucht, da sie einerseits die Rache der Zwangsarbeiter fürchteten, aber auch die Verhaftung durch die Alliierten.
Der Rest der 'Arbeiter' waren Frauen gewesen, die als ungelernte Hilfskräfte die zur Armee eingezogenen Männer ersetzen mussten und weder alleine die Fabriken weiterführen konnten, noch hierzu bereit waren, da sie schon mit der Neuorganisation des eigenen Familienlebens und anderen Pflichtarbeiten, wie Trümmerräumdiensten, überfordert waren.
Die energieerzeugenden Betriebe waren natürlich vorrangige Ziele der Alliierten Bombardierungen gewesen, genau um die Deutsche Rüstungsfabrikation lahmzulegen. Die fehlende Energie, die vielleicht das Leiden des Krieges verkürzte, verlängerte nun die Wiederaufnahme der Betriebe, soweit sie technisch und personell dazu in der Lage gewesen wären.
Nun ging es unserern Nachbarländern wegen der deutschen Bombardierungen ihrer Fabriken nicht viel anders. Als Opfer der Deutschen Politik beanspruchten sie natürlich, das etwaige Deutsche Produktionen vorrangig zur Begrenzung des von den Deutschen angerichteten Schadens und zum Wiederaufbau ihrer Länder eingesetzt werden. Das entsprach auch den Reparationsforderungen, die ohne Warenlieferung Deutschlands an die Siegermächte überhaupt nicht erfüllbar gewesen wären.
Genau gesagt war die Situation so, dass Deutschland ja keinerlei Devisen mehr hatte und der Geldwert der Reichsmark gegen Null tendierte. Der Krieg hatte alles Finanzmittel Deutschlands aufgezehrt und ausgehöhlt. Zur Reparationsleistung Deutschlands standen daher ohnedies nur Arbeitskraft und Produktion zur Verfügung. Das, was Deutschland selbst dringend zum Wiederaufbau benötigte, musste daher zwangsläufig in hohem Umfang an die Alliierten abgetreten werden. Da dies jedoch nicht ausreichte, um Deutschlands Schulden in absehbarer Zeit zu tilgen, sah der Waffenstillstand die Demontage eines überwiegenden Teils der Industriebetriebe vor. Auch, wenn der Morgenthau-Plan vom 10. Sept. 1944, der praktisch eine totale Demontage der Deutschen Industrie als Strafe und zur Verhinderung, dass erneut ein Krieg von Deutschland ausgehen könnte, vorsah, nicht realisiert wurde, so wurden vor allem in der Französischen, Sowjetischen und Englischen Zone erhebliche Demontagen vorgenommen.
Woher sollte also eine Produktion für den Deutschen Wiederaufbau kommen?

Auch hier blieb daher vorerst nur die Nutzung von alten (versteckten) Lagerbeständen, die fast ausschließlich über den Schwarzmarkt gehandelt wurden.



Eine weitere und überwiegend privat genutzte Möglichkeit war die 'zweite Verwendung' von Nägel, Schrauben und anderen Verbindungselementen. Diese konnte man zur Genüge aus den Trümmern und dem Schrott der zerbombten Häusern herausschrauben und herausziehen. Jedes Stück Holz wurde entnagelt und alle Schrauben herausgedreht. Es gab praktisch keinen Haushalt, in dem nicht eine Dose mit krummen und rostigen Nägeln und Schrauben stand. Noch heute findet man diese in den Kellern und Werkstätten der Kriegs- und Nachkriegsgeneration.

Aber auch Kordel zum Binden war Mangelware. Das war bereits vor Kriegsende so. Hier behalf man sich durch Fertigung von Kordel aus Papier. Wer einen Blick dafür hat, erkennt Papierkordel direkt am braunen Farbton und der relativ glatten Oberfläche. Viele (belastende) Akten des 2. Weltkrieges wurden nach Kriegsende zu Kordel.



Der Farbton der Papierkordel schwankt zwischen Beige und dunklem Mittelbraun. Bei den dunklen Kordeln kann man mit Glück bei Aufdrehen des Anfangs feststellen, dass hier beschriebenes Papier aus (wohl geplünderten) Behördenakten verwendet wurde.

Das liegt allerdings nicht nur an der sinnvollen Verwendung besser nicht aufgehobenem Schriftverkehrs, sondern auch daran, dass Papier ebenfalls zu den Mangelartikeln gehörte. Und eine Kordeldrehmaschine war früher in jedem landwirtschaftlichem Betrieb vorhanden.
Wegen der Papierknappheit, die schon vor Kriegsende bestand, findet man viele Textdokumente, Ausweise und amtliche Schreiben, in denen einerseits die Vordrucke der NS-Zeit mit geschwärztem Hakenkreuz weiterverwendet wurden, oder aber solche, die auf Rückseiten von Landkarten der Wehrmacht und durch den Zusammenbruch des 3. Reiches überflüssig gewordenen Dokumenten gedruckt sind. (Sehen Sie hierzu die Unterseite Nachkriegsdokumente).

© horst decker